Annkathrin Kluss (Anerkennung)
Annkathrin Kluss (*1991, Frankfurt am Main, Klasse Hito Steyerl, lebt und arbeitet in Berlin) ist Anerkennungspreisträgerin des 15. IBB-Preises für Photographie.
Annkathrin Kluss lotet in ihrer Serie „SONGS UNSUNG“ die Möglichkeiten der digitalen Bilderzeugung experimentell aus. Im Zusammenspiel von 3-D-Scan und Fotogrammetrie mit computergenerierten Bildern verdichtet sie ihr Thema der postdystopischen Naturdarstellung zu einem Narrativ über das Anthropozän. Annkathrin Kluss’ gebaute Welten basieren auf Algorithmen, die sie so zurückrechnet, dass sie für das menschliche Auge sichtbar und verständlich werden. Ihre Arbeiten wieder spiegeln das große aktuelle gesellschaftspolitische Thema „Naturschutz“ als die Basis für menschliches Leben überhaupt.
Digitaler Rundgang durch die Preisträgerausstellung 15. IBB-Preis für Photographie mit Juror Dr. Matthias Harder und Prof. Dr. Karlheinz Lüdeking, Vorstandsmitglied Karl Hofer Gesellschaft
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Text aus dem Ausstellungskatalog “SONGS UNSUNG”
Landschaftszombies
Ich frage mich, in welchem physischen Verhältnis die Abbildung, die Replik, zu dem Abgebildeten steht. Es mag ein kruder Gedanke sein, aber ich befürchte, dass das Aufzeichnen mit dem Untergang des aufgezeichneten Objektes zu tun hat, doch dazu später mehr. Fotogrammetrien sind fotografische Abtastungen eines dreidimensionalen Körpers, die zu digitalen 3D-Repliken zusammengesetzt werden. Mit dieser Technik werden heute unterschiedlichste Kartierungen gemacht. In der Bildserie Songs Unsung sind vier Displays zu sehen. Sie zeigen Mineralien, einen erodierten Muschelkalkstein, eine symbiotische Beziehung zwischen Pilzen, Flechten und einem Baumstumpf. Eines von ihnen präsentiert graue, weiße und grünliche Korallen – die grauen und weißen Korallen sind tot. Die Daten für diese 3D-Modelle stammen aus einem Forschungsprojekt, in dem beschädigte Korallenriffe fotogrammetrisch kartiert wurden. Forscher:innen gehen davon aus, dass ein Großteil der weltweiten Riffe in den nächsten 20 Jahren absterben werden. Es gibt Laborversuche, Korallen durch eine künstlich beschleunigte Evolution umzubauen, um sie an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen. Mit diesen Hybriden sollen die Riffe restauriert werden. In der Zukunft sind Korallen also auf zwei Weisen künstlich: Es wird digitale 3D-Repliken der nicht mehr vorhandenen Riffe geben, die schnell noch wie Totenmasken abgenommen wurden, bevor die Tierkörper zu Kalk zerfielen. Gleichzeitig sind – hoffentlich – neue Riffe mit mutierten Korallen entstanden, jedoch werden solche Landschaften Prothesen sein.
Schon jetzt ist klar, dass bei sofortigem, drastischem Handeln zwar viele Teile unserer Ökosysteme und physikalischen Gleichgewichte gerettet werden können, jedoch andere Teile mutieren, notdürftig substituiert werden und unwiederbringlich verloren gehen. Dies passiert, während die meisten Menschen in der westlichen Hemisphäre beim eigenen Handeln die physikalischen und biologischen Grundlagen ihres Daseins nicht mitdenken, weil sie „die Natur“ als ein statisches, dauerhaft vorhandenes Gegenüber wahrnehmen. Diese eigenartige Trennung zwischen Natur und Mensch lässt sich auch in der westlichen Bildgeschichte beobachten: Landschaft als eigenständiger Bildtopos entstand kurz vor der europäischen Aufklärung. Zwei Jahrhunderte früher hielt die Zentralperspektive Einzug in die Bildwelten, die Natur wurde schon dort zu einem Objekt, das betrachtet, abgebildet und vermessen wurde. Das Abbilden wurde immer akribischer betrieben, ab dem 19. Jahrhundert mit Fotografie und heute auch mit der Fotogrammetrie.
Um die oben beschriebenen Korallen im 3D Raum abzubilden, wird viel Strom benötigt. Zusätzlich verbraucht sowohl die Herstellung der Kameras wie auch der Rechner erhebliche Ressourcen. Dieser Einwand mag für die Bilder in diesem Buch lächerlich erscheinen, weil Annkathrin Kluss die digitalen Modelle recycelt und die 3D Landschaften bewusst einfach konstruiert hat. Erst in anderen Feldern wird die Dimension deutlich, z.B. dem autonomen Fahren. Dafür werden vollständig digitale Repliken unserer Umfelder benötigt, die jeweils in Echtzeit mit Änderungen ausgelesen werden. Computertechnik erzeugt gegenwärtig so viel CO2 wie der weltweite Flugverkehr. Mir erscheint die Manie des Aufzeichnens, des Abbildens wie ein Festhalten, um den Kreis des natürlichen Vergehens zu unterbrechen. Vielleicht aber wurden Daten auch immer schon in der Hauptsache zur monetären Gewinnmaximierung gesammelt.
Das Ökosystem Korallenriff ist nur ein Vorbote, andere Systeme werden folgen, außer wir handeln jetzt. Mit aller Konsequenz. Wenn nicht, werden irgendwann außerirdische Wesen eine digitale Replik unserer Welt in einer leeren Welt finden und uns für doof erklären.
Beate Gütschow